Das Vitamin B gibt es nicht
Mit der Bezeichnung Vitamin B bezeichnet man eine Vitamingruppe, in der acht Vitamine zusammengefasst sind. Es handelt sich dabei um völlig verschiedene Substanzen, deren Nummerierung Lücken aufweist, weil einige der Substanzen im Laufe der Zeit von der Vitaminliste gelöscht wurden. Heute unterscheiden wir – der Vollständigkeit halber – die Vitamine B1, B2, B3, B5, B6, B7 (Biotin), B9 (Folsäure) und B12.Dementsprechend gibt es also eigentlich auch nicht DEN Vitamin-B-Mangel, denn aufgrund der vielfältigen Wirkung der B-Vitamine gibt es auch verschiedenste Mangelzustände.
In unserem Körper sind die wasserlöslichen B-Vitamine an sehr vielen Prozessen beteiligt. Sie helfen beim Aufbau und der Regeneration von Gewebe, sie spielen eine Rolle im Stoffwechsel, unterstützen die Funktion von Nerven, Gehirn, Herz und Kreislauf, regulieren Muskeln und Magensäureproduktion und wirken sich zuletzt auch auf unseren Schlaf und die Hormonproduktion aus.
Gesunde Ernährung gleicht jeden Mangel aus
Wie bei allen Vitaminen gilt grundsätzlich auch bei Vitamin B: Wer sich gesund und abwechslungsreich ernährt, führt seinem Körper genügend Vitamine zu. Die B-Vitamine sind beispielsweise besonders häufig in Kohl, Leber, Fisch, Meeresfrüchten, Speisekleie, Erdnüssen und Hülsenfrüchten, hier besonders reichhaltig in Sojabohnen, enthalten.Gleichzeitig sollten Sie auch nicht jedes Ernährungsmärchen glauben, das derzeit über die positive Wirkung von B-Vitaminen erzählt wird.
Keine Risikoreduktion nach Herzinfarkt
Bereits vier Studien zeigen so beispielsweise, dass die zusätzliche Gabe von Homozystein-senkenden B-Vitaminen bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung – zum Beispiel nach einem Herzinfarkt – das Risiko für Tod und schwere Herz-Kreislaufkomplikationen nicht vermindert. So belegte er kürzlich in Norwegen die sogenannte WENBIT-Studie (Western Norway B-Vitamin Intervention Trial) mit über 3.000 Patienten: die zusätzliche Gabe von B-Vitaminen hatte keinen Effekt auf das Herz.Auch zur Vorbeugung vor Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall ist die zusätzliche Einnahme von B-Vitaminen nicht geeignet. Das konnte jetzt die amerikanische WAFAC-Studie (Women's Antioxidant and Folic Acid Cardiovascular Study) nachweisen.
Die Teilnehmerinnen der Studie nahmen täglich 2,5 mg Folsäure plus Vitamin B6 (50 mg) und Vitamin B12 (1 mg) unter kontrollierten Bedingungen ein. Der Schutz vor Herzinfarkt war in der Patientengruppe, die diese Mischung täglich bekam, nicht besser als in der Kontrollgruppe.
In bestimmten Fällen ist zusätzliche Folsäure wichtig
Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass Folsäure nicht schädlich ist. Gerade für Schwangere ist dies eine gute Nachricht, nehmen doch viele von ihnen Folsäure regelmäßig ein, um einen Neuraldefekt ihres ungeborenen Kindes zu vermeiden. Und auch in der Rheumatologie wird Folsäure empfohlen, um unter Metotrexatbehandlung die Neigung zur Entstehung von Rheumaknoten vorzubeugen.Darum mein Ratschlag: Reden Sie mit dem Arzt Ihres Vertrauens. Er kann gezielt untersuchen, ob bei Ihnen ein Mangel an einem oder mehreren B-Vitaminen vorliegt. Nur dann sollten Sie zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen.
Über den Autor
Prof. Dr. med. Curt Diehm zählt zu den führenden Medizinern im Südwesten Deutschlands, er ist Autor zahlreicher Fach- und Patientenbücher und langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßmedizin. Seit Mitte 2014 leitet er als Ärztlicher Direktor die renommierte Max Grundig Klinik in Bühl. Alle Beiträge dieser Serie zum Nachlesen unter www.max-grundig-klinik.de.Hier finden Sie alle Beiträge der Serie Gesund mit Diehm