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Diabetes und Depression: Ein häufig übersehenes Zusammenspiel

Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, bei der der Körper entweder nicht genügend Insulin produziert (Typ-1-Diabetes) oder das Insulin nicht richtig verwerten kann (Typ-2-Diabetes). Neben den bekannten körperlichen Komplikationen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenschäden oder Netzhauterkrankungen, rückt ein weiteres Problem immer mehr in den Fokus der Forschung: die psychischen Auswirkungen von Diabetes, insbesondere das vermehrte Auftreten von Depressionen nach der Diagnose.
Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen mit Diabetes ein signifikant höheres Risiko haben, eine Depression zu entwickeln. Tatsächlich zeigen Forschungsergebnisse, dass bei Diabetikern die Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken, etwa doppelt so hoch ist wie bei Menschen ohne Diabetes. Das „British Medical Journal“ berichtete dieser Tage über eine Untersuchung bei über 300.000 Versicherten mit der Diagnose Diabetes mellitus. Innerhalb von sechseinhalb Jahren wurde bei 20 Prozent dieser Patienten zusätzlich die Diagnose einer manifesten Depression gestellt. Das Risiko war bei einem Alter unter 35 Jahren und unmittelbar nach der Diagnose Diabetes besonders hoch.

Es gibt drei zentrale Einflussfaktoren, die das erhöhte Risiko erklären können:

Psychosozialer Stress durch die Diagnose: Die Diagnose Diabetes bringt für viele Menschen eine tiefgreifende Veränderung ihres Lebens mit sich. Diabetes erfordert ständige Aufmerksamkeit: Blutzuckermessungen, Insulininjektionen oder die Einnahme von Medikamenten, strenge Ernährungspläne und regelmäßige ärztliche Untersuchungen. Diese alltäglichen Anforderungen können zu erheblichem emotionalem Stress führen. Das Gefühl, von der Krankheit kontrolliert zu werden, kann Frustration, Angst und schließlich auch Depressionen auslösen.

Chronische Erkrankungen und psychische Belastung: Diabetes ist eine chronische Erkrankung, die den Alltag dauerhaft beeinflusst. Die ständige Auseinandersetzung mit potenziellen Komplikationen und die Furcht vor Langzeitfolgen wie Erblindung, Nierenversagen oder Amputationen können eine erhebliche psychische Belastung darstellen. Dies führt nicht selten zu einem Gefühl der Überforderung und Hilflosigkeit, was das Risiko einer Depression erhöht.

Biochemische Veränderungen im Körper: Es gibt Hinweise darauf, dass die biochemischen Veränderungen, die mit Diabetes einhergehen, auch eine direkte Auswirkung auf die Gehirnfunktion haben könnten. Chronisch erhöhte Blutzuckerwerte können Entzündungsprozesse im Körper fördern, die auch das Gehirn betreffen und dort depressive Symptome auslösen können. Zudem gibt es Vermutungen, dass Insulinresistenz, die vor allem bei Typ-2-Diabetes eine Rolle spielt, zu Störungen im Gehirnstoffwechsel führen kann, was das Risiko für Depressionen erhöht.

Diabetes und Depression, ein Teufelskreis

Die wechselseitige Beziehung zwischen Diabetes und Depression kann leicht zu einem Teufelskreis werden: Menschen mit Diabetes, die an einer Depression leiden, haben oft größere Schwierigkeiten, ihre Krankheit effektiv zu managen. Depressive Symptome wie Antriebslosigkeit, Müdigkeit oder das Gefühl der Hoffnungslosigkeit können dazu führen, dass Betroffene ihre Medikamente unregelmäßig einnehmen, seltener Blutzuckermessungen durchführen und weniger auf ihre Ernährung achten. Dies kann wiederum zu einer Verschlechterung der Blutzuckerkontrolle führen und das Risiko für diabetesbedingte Komplikationen erhöhen. Auf der anderen Seite kann eine schlechte Blutzuckerkontrolle selbst depressive Symptome verstärken.

Behandlung von Depressionen bei Diabetikern

Die Behandlung von Depressionen bei Diabetikern ist deshalb genauso wichtig wie die Behandlung des Diabetes selbst, da beide Krankheiten eng miteinander verknüpft sind. Eine Kombination aus psychotherapeutischen und medikamentösen Ansätzen gilt derzeit als der richtige Weg.

Psychotherapie: Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) hat sich bei der Behandlung von Depressionen als besonders wirksam erwiesen. Sie hilft den Betroffenen, negative Denkmuster zu durchbrechen und praktische Strategien zu entwickeln, um den Alltag mit Diabetes besser zu bewältigen. Auch Selbstmanagement-Programme, die speziell für Diabetiker entwickelt wurden, können helfen, die Krankheitsakzeptanz zu fördern und den Umgang mit der Erkrankung zu verbessern.

Medikamentöse Behandlung: Antidepressiva können bei schweren Depressionen eine wirksame Behandlungsmöglichkeit sein. Es ist jedoch wichtig, dass Medikamente in enger Absprache mit dem behandelnden Arzt verschrieben werden, um Wechselwirkungen mit den diabetesbezogenen Medikamenten zu vermeiden.

Ideal für eine erfolgreiche Behandlung ist ein multidisziplinärer Ansatz, bei dem Hausarzt, Diabetologe und Psychologe eng zusammenarbeiten, um sowohl die körperliche als auch die psychische Gesundheit zu verbessern.

Fazit

Nach der Diagnose Diabetes tritt bei vielen Patienten häufiger eine Depression auf. Eine unerkannte oder unbehandelte Depression kann den Krankheitsverlauf verschlechtern und zu einem Teufelskreis aus schlechter Blutzuckerkontrolle und emotionaler Belastung führen.

Daher ist es wichtig, dass Patienten mit Diabetes regelmäßig auf Anzeichen von Depressionen untersucht und bei Bedarf frühzeitig behandelt werden. Eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachrichtungen sowie psychotherapeutische Unterstützung können dazu beitragen, sowohl die Lebensqualität als auch den Krankheitsverlauf erheblich zu verbessern.

Prof Manfred Zehender
Zur Person


Professor Dr. Manfred Zehender ist Ärztlicher Direktor der Max Grundig Klinik und einer der führenden Herzspezialisten in Deutschland.

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