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Interview

Staatsministerin Melanie Huml zum Thema Sucht und Familie

Vergangenen Mittwoch trafen sich zahlreiche Therapeuten, Pharmazeuten und Mediziner in München, um am 13. Suchtforum in Bayern teilzunehmen. Unter dem Titel „Schicksal Familie oder Familien-Schicksal“ boten die Organisatoren ein interessantes Programm zu den Themen Prävention, Behandlung und Therapie. Bevor die Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege das Forum im ausgebuchten Kardinal-Wendel-Haus eröffnete, trafen wir Staatsministerin Melanie Huml zum Interview.

GesünderNet: Frau Staatsministerin, Sie arbeiten bereits viele Jahre im Bereich Gesundheit. Wie hat sich das Thema aus politischer Sicht entwickelt?

1415 FINAL Zuschnitt Melanie HumlStMin Melanie Huml: Wir haben in der Gesundheitspolitik viel erreicht. So haben wir in Bayern mehrere Projekte sehr erfolgreich gestartet. Ein persönliches Anliegen war mir beispielsweise das Projekt „Schwanger? Null Promille!“. Alkohol während der Schwangerschaft ist die häufigste Ursache für nicht genetisch bedingte angeborene Behinderungen. Das müssen werdende Mütter und ihre Familien wissen. An einem kompletten Alkoholverzicht führt während dieser Zeit kein Weg vorbei. Wir wollen die ganze Gesellschaft für das Thema „Schwanger ohne Alkohol“ sensibilisieren.

GesünderNet: Projekte wie „HaLT“ und „Starker Wille statt Promille“ widmen sich verstärkt der Sucht-Problematik…

StMin Melanie Huml: Richtig. Bayern hat „HaLT – Hart am Limit“ mittlerweile an 45 Standorten  etabliert. Das Projekt richtet sich an Jugendliche, die mit einer Alkoholvergiftung oder aufgrund von Alkoholmissbrauch ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Es ist wichtig, den Betroffenen und ihren Eltern genau zu diesem Zeitpunkt eine Beratung anzubieten. Außerdem bietet „HaLT“ präventive Ansätze wie die Aufklärungsarbeit vor Ort: Durch Mitarbeit vieler Sportvereine und Kommunen wird beispielsweise erklärt, worauf Jugendliche beim Thema „Mixgetränke und versteckter Alkohol“ achten sollten. Wichtig ist vor allem, dass diese Präventionsarbeit flächendeckend angeboten werden kann. Insgesamt investiert der Freistaat für Maßnahmen der Suchtvorbeugung und der Suchthilfe jährlich rund sieben Millionen Euro.

GesünderNet: Stichwort Finanzierung. In den Grundsätzen der Bayerischen Staatsregierung für Drogen- und Suchtfragen ist verankert, dass der Freistaat „bestrebt ist, den Bestand der Suchtkrankenhilfe auf dem erreichten, hohen Niveau zu sichern“. Bleibt es dabei?

StMin Melanie Huml: Viele Projekte müssen modellhaft begonnen werden, um festzustellen, ob sie angenommen werden oder nicht. Sobald wir erkennen, dass es sich um eine wichtige Maßnahme handelt, müssen wir diese natürlich ausbauen und unterstützen. Ein Beispiel: Ich habe vor, das Projekt „Schwanger? Null Promille!“ in verschiedenen Sprachen anzubieten. Mir geht es dabei vor allem um Familien mit Migrationshintergrund, die ebenfalls die Möglichkeit haben sollen, sich entsprechend informieren zu können.

GesünderNet: Wie vermittelt man Familien, die aufgrund sprachlicher und kultureller Barrieren oft schwer zu erreichen sind, sensible Themen wie Sucht und Suchterkrankungen?

StMin Melanie Huml: Im Bereich der Jugendhilfe gibt es tolle Möglichkeiten, um interkulturelle Brücken zu schaffen. Ich denke da zum Beispiel an das Projekt „Eltern-Talk“: Dabei laden sich Eltern in ihre Privatwohnungen ein, um sich gegenseitig zu beraten. Ziel ist es, auf diese Weise gewisse Hemmschwellen zu überwinden. Ich habe einmal miterlebt, wie die Frau eines Imam zu einer solchen Runde kam, was natürlich ganz besonders interessant war. Es ist wichtig zu erreichen, dass sich bestimmte Schlüsselpersonen an solchen Aktionen beteiligen.

GesünderNet: Wir haben verstärkt über präventive Maßnahmen gesprochen. Wie steht es um gezielte Behandlungsmöglichkeiten?

StMin Melanie Huml: Wir haben ein sehr gutes Niveau erreicht, was umfangreiche Therapieangebote betrifft. Wichtig ist, dass die Angebote weiterhin etabliert bleiben. Zudem müssen wir darauf achten, dass es auch die Möglichkeit gibt, einen Therapieplatz überhaupt wahrnehmen zu können. Denn lange Wartezeiten sind für suchtkranke Menschen, die sich für eine Therapie entschlossen haben, sehr frustrierend.

GesünderNet: Das Projekt „Starker Wille statt Promille“ hat das Ziel, Jugendliche die Aufklärungsarbeit selbst in die Hand nehmen zu lassen. Wie kann das funktionieren?

StMin Melanie Huml: „Starker Wille statt Promille“ ist ein Projekt von Jugendlichen für Jugendliche. Es werden dabei Videoclips produziert, bei denen der Umgang mit Alkohol und die Konsequenzen daraus im Mittelpunkt stehen. Als ich mit den Jugendlichen über ihre Arbeit gesprochen habe, fiel mir auf, dass sie besonders viel Wert auf das sogenannte Entscheidungsmoment gelegt haben: Die Clips zeigen sowohl die Entscheidung für die Vernunft, also den rechtzeitigen Stopp des Trinkens, als auch die Variante des Leichtsinns und die damit verbundenen Folgen. Erstaunlich ist dabei, wie unverblümt die jungen Regisseure das Thema inszenieren – und das in der Sprache der Jugendlichen, die unsere Zielgruppe wirklich erreicht.

GesünderNet: Das Forum zentralisiert das Thema Familie und Sucht. Nicht nur der Patient, sondern auch die Angehörigen sind direkt betroffen. Wie hilft man speziell diesen Menschen, die sich ihrer Lage oft gar nicht bewusst sind?

StMin Melanie Huml: Die Suchterkrankung eines Menschen belastet seine ganze Familie. Deshalb ist es wichtig, bei Prävention und Therapie die Familie miteinzubeziehen. Die Familie erreicht man auch über Vermittlungspersonen, wie etwa über Familienhebammen. Diese können die Situation innerhalb der Familie richtig einschätzen. Es steht also in diesem Fall nicht nur die Arbeit mit der Mutter und ihrem Neugeborenen im Mittelpunkt, sondern auch die Kommunikation zwischen der Hebamme und den Familienmitgliedern. Erkennt die Hebamme dann, dass Hilfe notwendig ist, unterstützt sie die ganze Familie und leistet Aufklärungsarbeit. Sie informiert zum Beispiel darüber, an welche Einrichtungen die Betroffenen sich wenden können. Obwohl wir auf staatlicher Seite ein gutes soziales Netzwerk haben, bleiben leider noch immer viele Türen verschlossen. Angehörige kennen nicht immer alle Möglichkeiten - und wir haben es schwer, diese Familien zu erreichen. Daher spielen Familienhebammen eine immer wichtigere Rolle in der Arbeit mit Suchterkrankungen.

GesünderNet: Ihr persönliches Motto lautet „Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte tun, können sie das Gesicht der Welt verändern.“ Müssten dementsprechend analog mehrere staatliche Einrichtungen, wie Schule und Polizei, zusammenarbeiten, um beim Thema Familie und Sucht etwas bewirken zu können?

StMin Melanie Huml: Ich halte die Vernetzung vor Ort für unglaublich wichtig. Der Datenschutz muss natürlich beachtet werden. Aber Ärzte, Jugendämter und Schulen müssen so miteinander vernetzt sein, dass mögliche Hilfssignale erkannt werden und danach die Unterstützung für die betroffenen Familien an der richtigen Stelle ankommt.

GesünderNet: Frau Staatsministerin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.