GesünderNet: Herr Prof. Dr. Hille, Sie verhelfen Menschen wieder zu ihrem Augenlicht, und dies mit Hilfe einer Zahn-Knochen-Prothese. Wie darf man sich das vorstellen?
Prof. Dr. Konrad Hille: Für gutes Sehen ist eine klare und gleichmäßige Hornhaut erforderlich, die das Auge als durchsichtige Schicht nach außen abschließt. Bei Erkrankungen der Oberfläche des Auges kann es zu Trübungen der Hornhaut kommen, weshalb auf der Nervenzellschicht kein klares Bild mehr entsteht. Normalerweise genügt in diesen Fällen der Austausch der getrübten Hornhaut, um die Sehschwäche zu korrigieren. Allerdings gibt es schwere Erkrankungen, bei denen eine solche Hornhautverpflanzung nicht erfolgversprechend ist. Es ist jedoch unmöglich, zum Beispiel eine Glasscheibe als Ersatz einzusetzen, da sich solches nicht-biologisches Material nicht mit dem Körpergewebe verbindet und schnell wieder abgestoßen wird. Wir setzen den Patienten deshalb eine „künstliche Hornhaut“, eine sogenannte Keratoprothese, ein. Dabei handelt es sich um einen optischen Zylinder, der am besten mittels körpereigenem Gewebe, einer Zahnwurzel und Knochen, in der Hornhaut fixiert wird. Wenn die Nervenzellschicht und der Sehnerv intakt sind, kann der Patient nach der Operation in der Regel wieder mit einem guten Sehvermögen rechnen, welches auf lange Zeit erhalten bleibt.
GesünderNet: Wie lange gibt es diese Eingriffsform?
Prof. Dr. Konrad Hille: Die Möglichkeit, eine getrübte Hornhaut durch eine Keratoprothese zu ersetzen, wurde erstmals vor mehr als 200 Jahren durch den Franzosen Pellier de Quengsy beschrieben, allerdings waren diese Versuche nicht erfolgreich. Erst in den frühen 1960er Jahren wurde von dem Italiener Strampelli die Fixierung einer Keratoprothese mit einer eigenen Zahnwurzel des Patienten (Osteo-Odonto-Keratoprothese) als Eingriff erfolgreich durchgeführt. Aufgrund der Fixierung des optischen Zylinders durch das mineralische Zahnmaterial der Zahnwurzel und den umgebenden Kieferknochen entsteht eine sichere und langfristige Einheilung der Prothese. Die Ergebnisse sind so gut, dass wir diese Methode immer noch anwenden und sie als „Goldstandard“ gilt. Wir haben diese Methode in Deutschland vor mehr als 15 Jahren aufgegriffen und zunächst an der Uniklinik des Saarlandes in Homburg und jetzt in Offenburg regelmäßig durchgeführt.
GesünderNet: Man spricht hier von einem seltenen Eingriff. Weshalb?
Prof. Dr. Konrad Hille: Früher hatten die meisten Patienten, bei denen eine Keratoprothese durchgeführt werden musste, Arbeitsunfälle mit Verbrennungen und Verätzungen. Durch bessere Arbeitsschutzmaßnahmen kommt es Gott sei Dank heute seltener zu solch schweren Verletzungen. Außerdem kann man durch fortschrittliche medikamentöse Therapie und gegebenenfalls eine Hornhautverpflanzung heute den meisten Patienten mit Hornhauttrübungen helfen. Es verbleiben nur wenige Patienten, die eine so starke Störung in der Hornhautoberfläche haben, dass eine Hornhautverpflanzung nicht möglich ist. Insgesamt schätzen wir die Zahl der potenziellen Patienten in Deutschland pro Jahr auf ungefähr 100 bis 1000. Allerdings wissen viele Patienten und auch behandelnde Ärzte nicht ausreichend von dieser Möglichkeit und kommen so nicht zur Behandlung.
GesünderNet: Wie genau darf man sich den operativen Eingriff vorstellen? Wie gehen Sie - vereinfacht dargestellt - vor?
Prof. Dr. Konrad Hille: Um eine solche „Osteo-Odonto-Keratoprothese“ aus dem körpereigenen Material herzustellen, wird dem Patienten ein Zahn zusammen mit Zahnwurzel entnommen. Die Zahnwurzel wird der Länge nach halbiert und so durchbohrt, dass in das Bohrloch ein optischer Zylinder aus Plexiglas festgeklebt werden kann. Dieser künstliche Sichtkanal wird in bzw. auf die Hornhaut des erkrankten Auges eingesetzt und mit Mundschleimhaut bedeckt, wobei der Zylinder natürlich aus der Schleimhaut herausragt. Da er nach innen durch die Hornhaut ebenfalls in das Auge hineinragt, kann der Patient durch diese Optik seine Umgebung wieder wahrnehmen.
GesünderNet: Wie hoch ist die Erfolgsrate?
Prof. Dr. Konrad Hille: Von den von mir operierten Patienten erreichten ein Drittel ein ganz normales Sehvermögen, insgesamt konnten zwei Drittel der Patienten mit Sehhilfen lesen und 80% sich wieder optisch orientieren. Natürlich kann es bei dem Eingriff auch zu Komplikationen kommen, die aber in der Regel gut beherrschbar sind. Der Erfolg hängt letztendlich von der Funktion der Nervenzellschicht (Netzhaut) und des Sehnervs ab. Einige Patienten haben aber aufgrund der schweren Erkrankungen des Auges auch andere Probleme am Auge, die dann das Sehvermögen beeinträchtigen.
GesünderNet: Wie lange dauert es nach der OP, bis der Patient das erste Mal wieder sehen kann?
Prof. Dr. Konrad Hille: Da zuerst die Prothese hergestellt und für drei Monate unter die Haut eingepflanzt werden muss, sind zwei Eingriffe erforderlich. Nachdem die Prothese eingepflanzt wurde, können einige Patienten bereits nach wenigen Tagen wieder sehen, andere auch erst nach einigen Wochen.
GesünderNet: Eine Zahn-Knochen-Prothese im Auge hört sich schmerzhaft an. Ist das tatsächlich schmerzhaft, und wenn ja: wie lange sind die Patienten nach der OP auf Schmerzmittel angewiesen?
Prof. Dr. Konrad Hille: Generell gilt, dass der Eingriff unter Vollnarkose durchgeführt wird. In der Regel sind Schmerzen nach Augeneingriffen selten. Dies gilt auch für die Keratoprothesen. Die Patienten benötigen in den seltensten Fällen nach solchen Eingriffen Medikamente gegen Schmerzen.
GesünderNet: Wie viele Nachbehandlungen sind im Schnitt notwendig?
Prof. Dr. Konrad Hille: Insgesamt sind für den Eingriff zwei stationäre Behandlungen im Abstand von drei Monaten erforderlich. Die Patienten werden nach jedem Eingriff etwa ein bis zwei Wochen in der Klinik bleiben. Nach der Implantation der Prothese ins Auge werden die Patienten nach einem Monat, danach nach einem Vierteljahr und danach jedes halbe Jahr von mir kontrolliert. Zwischenbesuche beim örtlichen Augenarzt sind natürlich sinnvoll.
GesünderNet: Für wen ist eine solche OP zu empfehlen?
Prof. Dr. Konrad Hille: Bei allen Patienten, die aufgrund einer Hornhauterkrankung erblindet sind bzw. die nicht durch eine Hornhautverpflanzung behandelt werden können. Dabei bedeutet „erblindet“, dass das bessere Auge weniger als 1/20 bzw. - für den Laien besser verständlich - 5% sehen kann. Eine gute Funktion der Netzhaut (Nervenzellschicht) und des Sehnervs sind allerdings erforderlich. Der Patient oder die Patientin sollte also noch Lichtschein aus verschiedenen Richtungen wahrnehmen können. Wenn noch Handbewegungen erkannt oder eine grobe optische Orientierungsmöglichkeit vorhanden ist, sind die Erfolgsaussichten generell höher. Erkrankungen sind zum Beispiel schwere Verätzungen, Verbrennungen, ein okuläres Pemphigoid, Lyell-Syndrom, Fuchs-Steven-Johnson Syndrom oder nach mehrfach erfolgloser Hornhautverpflanzung z.B. aufgrund Abstoßungsreaktionen. Nicht in Frage kommen Patienten, die noch ein gut sehendes Auge haben, eine schwere Netzhauterkrankung an dem betreffenden Auge haben oder einen sehr fortgeschrittenen Grünen Star.
GesünderNet: Übernehmen die Krankenkassen die Kosten eines solchen Eingriffs?
Prof. Dr. Konrad Hille: Die Eingriffe werden von der Krankenkasse übernommen. Für die Klinik ist es allerdings eher ein Verlustgeschäft, da die Eingriffe im Verhältnis zum Aufwand sehr schlecht bezahlt werden. Dennoch bieten wir dies den Patienten gerne an, da es für sie die einzige Möglichkeit ist, das Sehen wieder zu erlangen.
Unser Experte: Prof. Dr. Konrad Hille vom Ortenau Klinikum in Offenburg-Gegenbach
Ärztlicher Leiter der Augenheilkunde
Fachgebiete: Augenlaserkunde, okuläre Eingriffe, Augenmuskelchirurgie und ophthalmologische Ultraschalldiagnostik.