Meeresrauschen ohne Meer - Nervensäge Tinnitus istockphoto.com/Spanishalex

Meeresrauschen ohne Meer - Nervensäge Tinnitus

Je mehr Stress man hat, desto wahrscheinlicher hat man ihn: Tinnitus. Hals-Nasen-Ohren-Ärzte bezeichnen mit diesem Begriff Geräusche, die der Patient hört, die es aber nicht gibt. Rauschen, Klingeln, Pfeifen, Piepen: Tinnitus existiert in allen Tonlagen und Lautstärken. Was ihn verursacht, weiß niemand sicher, was man gegen ihn tun kann, auch nicht.

Dr. Isabel Justus, Geschäftsführerin der Apothekerkammer Bremen, nennt neben den beschriebenen Symptomen auch ein „watteartiges Druckgefühl in den Ohren“ als Anzeichen für Tinnitus. Mitunter verschwinden die lästigen Töne wieder, dauern sie länger als drei Monate an, spricht der Fachmann von chronischem (dauerhaft fortbestehendem) Tinnitus. Vielen Patienten macht er schwer zu schaffen. Sie klagen über Schlafstörungen, die Konzentrationsfähigkeit leidet, in schweren Fällen entstehen Depressionen.

Ursache unbekannt

Vermutlich, so Justus, ist Tinnitus „keine Erkrankung, sondern eher ein Symptom einer solchen“. Hoher Blutdruck, ungenügende Durchblutung der Hirngefäße und Probleme in der Halswirbelsäule werden als organische Ursachen genannt, ebenso Altersschwerhörigkeit. Aber keine dieser Beschwerden muss zwingend Tinnitus auslösen. Vermutet wird auch eine „falsche Informationsübermittlung zwischen den Sinneszellen des Ohrs oder des Gehirns“, sagt Justus. Hohe Lärmbelastung, psychosomatische Störungen und Mittelohrentzündungen sind ebenfalls mögliche auslösende Faktoren.

Therapien oft wirkungslos

Geht der Patient frühzeitig zum Arzt, wird er bei unbekannter Ursache zunächst mit Glukokortikoiden behandelt, die vor allem entzündungshemmend wirken, daneben werden Infusionen zur Blutverdünnung und andere Medikamente gegeben, die die Gefäße erweitern und die Durchblutung fördern. Dauert der Tinnitus an, erhält der Patient Nootropika, also Arzneien, die die Leistung von Gehirn und Zentralnervensystem verbessern sollen, zum Beispiel Wirkstoffe aus Ginkgo.

Alternativ zu medikamentösen Therapien werden Tinnitus-Patienten auch der hyperbaren Sauerstofftherapie unterzogen, bei der sie in einer Überdruckkammer reinen Sauerstoff atmen. So gelangt sauerstoffreiches Blut ins Innenohr und soll dort mittels verbesserter Versorgung des Organs den Tinnitus eindämmen.

Ein weiterer Ansatz richtet sich gegen die Symptomatik: Im Rahmen so genannten Retrainings. Hier werden hörgeräteähnliche Geräte (so genannte Masker und Noiser) eingesetzt, die mit künstlich erzeugten Geräuschen im passenden Frequenzbereich den Tinnitus überdecken sollen. Schließlich kann durch Akupunktur der Höreindruck verbessert werden. Allen Therapien ist jedoch gemeinsam, dass sie nicht sicher wirken.

Mit Tinnitus leben lernen

Für die Patienten ist es daher wichtig, mit den unvermeidlichen Ohrgeräuschen leben zu lernen. Je mehr sie zulassen, dass sich lästiges Rauschen und Pfeifen in den Wahrnehmungsvordergrund schiebt, desto heftiger leiden sie. Gelingt es dagegen, den Tinnitus zu akzeptieren und sich nicht von ihm tyrannisieren zu lassen, wobei auch Yoga und Autogenes Training helfen können, ist eine zumindest akzeptable Lebensqualität auch mit dem „Ozean im Ohr“ möglich.