Über das Warum gibt es bisher nur Mutmaßungen
Die Ursachen für Magersucht sind bis heute nicht abschließend geklärt. Wahrscheinlich spielen hormonelle und psychische Faktoren eine Rolle, verstärkt durch Idealvorstellungen vom weiblichen Körper. Vor allem das herrschende Schlankheitsideal, befeuert durch TV und Internet, wird immer wieder als Grund genannt.Fest steht: Meistens sind die betroffenen Mädchen schon als Kinder „auffällig“ geworden. Sie sind oft schüchtern, ängstlich, gehemmt und bringen in aller Regel gute Leistungen in der Schule. Nicht selten liegen noch andere psychische Probleme vor, wie Depressionen, Zwänge oder Angststörungen.
Interessanterweise werden farbige Frauen in den USA kaum magersüchtig. Selbst bei weißen Amerikanerinnen ist die Magersucht lange nicht so ausgeprägt, wie in Europa. Obwohl der Schlankheitsdruck in den USA genauso groß ist, wie bei uns.
Neue psychotherapeutische Ansätze
Eines sollte man auf keinen Fall: Die Magersucht auf die sprichwörtliche leichte Schulter nehmen. Bei der Essstörung handelt es sich um eine sehr ernsthafte Erkrankung. Nahezu jede fünfte Betroffene stirbt an den Folgen der Unterernährung.Und inzwischen gibt es neue Hoffnung. Eine Arbeitsgruppe der Unis in Tübingen und Heidelberg haben im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung drei Psychotherapieverfahren zur Behandlung von Magersucht miteinander verglichen. Mit dabei war auch die noch relativ junge fokale psychodynamische Therapie. Bei diesem Ansatz steht die Verarbeitung von Emotionen im Mittelpunkt. Zudem werden die Magersüchtigen gezielt auf den Alltag nach Therapieende vorbereitet. Die fokale psychodynamische Therapie lieferte bei der Studie deutlich bessere Ergebnisse als bisherige Standardbehandlungen.
Klinik-Aufenthalte nicht unbedingt erforderlich
Parallel dazu untersuchte ein Studienteam aus Aachen Alternativen zur heute üblichen klinischen Behandlung von Magersüchtigen. Ihr Ergebnis zeigt, dass die Patienten nicht unbedingt vollstationär behandelt werden müssen. Ein Alternativ-Ansatz, bei dem die Betroffenen nur tagsüber an der Behandlung teilnahmen, abends jedoch in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren konnten, zeigte mindestens gleichwertige Erfolge. Das ist nicht nur weniger belastend für die Erkrankten, es spart auch deutlich Kosten.Generell sind die Heilungschancen umso besser, je früher die Therapie begonnen wird. Dennoch kann laut einer Untersuchung aus den USA derzeit nur rund der Hälfte aller Patienten wirklich nachhaltig geholfen werden.
Magersucht ist übrigens nur die eine Seite der Essstörungen. Die andere, die Fresssucht –häufig auch Binge-Eating genannt – ist genauso schlimm. Sie führt zu einem heute viel zu häufig zu beobachtenden, extremen Übergewicht. Die Betroffenen sind meist Erwachsene, hier zu einem Drittel Männer. Aktuelle Zahlen aus Deutschland gibt es nicht, aber laut einer australischen Studie aus dem Jahr 2012 hat sich die Zahl der Fresssüchtigen in den davor liegenden zehn Jahren mehr als verdoppelt. Tendenz weiter steigend.
Mein Rat: Egal, ob Sie oder einer Ihrer Angehörigen an Mager- oder Fresssucht leiden, schämen Sie sich bitte nicht und sprechen Sie unbedingt mit Ihrem Arzt darüber.
Über den Autor
Prof. Dr. med. Curt Diehm zählt zu den führenden Medizinern im Südwesten Deutschlands, er ist Autor zahlreicher Fach- und Patientenbücher und langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßmedizin. Seit Mitte 2014 leitet er als Ärztlicher Direktor die renommierte Max Grundig Klinik in Bühl. Alle Beiträge dieser Serie zum Nachlesen unter www.max-grundig-klinik.de.Hier finden Sie alle Beiträge der Serie Gesund mit Diehm