Die alarmierende Rückenstudie
Zwischen 1. Januar 2009 und 31. Dezember 2010 hatte der Rückenexperte Dr. Martin Marianowicz, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Wirbelsäulenendoskopie und der Europasektion des World Institute of Pain ist, mit seinem Team Kinder und Jugendliche in seinem Münchner Zentrum untersucht. Marianowicz: „Unsere Untersuchung bezog Probanden zwischen 8 und 18 Jahren ein. Von den 61 Prozent, die Haltungsschwächen aufwiesen, klagten bereits mehr als 50 Prozent über Rückenschmerzen. Das ist fast ein Drittel der untersuchten Jugendlichen.“ Damit sind die Ergebnisse noch alarmierender als bei der Rückenstudie „500plus“ aus dem Jahr 2008, bei der über 500 Schüler des Münchner Luitpold-Gymnasiums untersucht worden waren.
Jugendsünden wirken nach
Abgesehen von einer Befragung zu den Lebensumständen und einer BMIPrüfung wurden auch ein orthopädischer Check und eine Haltungsbewertung durchgeführt. Weitere Ergebnisse: 32 % wiesen leichte, 29 % stärkere Haltungsschwächen auf. Neben dem klassischen Hohlkreuz wurde in einer Vielzahl der Fälle auch eine zu schwache Rumpfmuskulatur attestiert. Gründe hierfür sieht Marianowicz vor allem in der veränderten Lebenswelt der Kinder. Marianowicz: „Schulsport spielt heute kaum noch eine Rolle und anstatt im Freien zu spielen oder Sport zu treiben, verbringen Kinder und Jugendlichen ihre Zeit hauptsächlich in Chat-Rooms und mit Spielen vor dem Computer oder bei Hausaufgaben am Schreibtisch. Dies führt zu Fettleibigkeit oder kaum ausgebildeten Muskulaturen. 42 % der Kinder und Jugendliche waren insgesamt übergewichtig. 30 % hatten dabei einen Body-Mass-Index (BMI) über 20 Punkte, 12 % sogar über 25 Punkte und wiesen somit schweres Übergewicht auf. Das Fatale dabei ist, dass sowohl Verhalten als auch Fehlstellungen aus der Jugend kaum mehr korrigiert werden können und in der Regel zu chronischen Rückenleiden führen.“ Und während Kinder noch vor zwei Jahrzehnten in der Regel 4 Stunden Bewegung pro Woche hatten, verbringen 60 % der befragten Kinder und Jugendlichen heute weniger als 3 Stunden pro Woche in Bewegung.
Gefahr nicht erkannt
Welche Gefahren durch diesen Trend – auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung – lauern, wird von Politik wie Gesundheitsträgern aber völlig ausgeblendet. Marianowicz: „Die Gesundheitskosten werden explodieren, da die Jugendlichen von heute zu den Rückenpatienten von morgen werden, letztendlich auch im OP oder in der Therapie landen und damit hohe Kosten generieren. Schon heute geht die Hälfte aller Frühverrentungen auf Rückenleiden zurück und mit 75 Millionen Krankheitstagen zählt dieses – häufig chronische – Leiden zur zweithäufigsten Krankheitsursache.Die Dauerbehandlung der Rückenpatienten belastet darüber hinaus bei steigender Lebenserwartung jahrzehntelang die Gesundheitskassen.“
Kinder für Sport und Bewegung begeistern
Abhilfe schaffen laut Dr. Marianowicz nur eine entsprechende Erziehung und Angebote: „Kinder und Jugendliche müssen von früh auf lernen, dass Sport und Bewegung unabdingbar zu einem gesunden Leben gehören – ebenso wie eine ausgewogene Ernährung. Das können sie aber nur von ihren Eltern oder in der Schule lernen.“ Ergonomische Möbel können einen weiteren Beitrag leisten. Marianowicz: „Beim Hausaufgabenmachen sollten kurze Pausen eingelegt werden, bei denen die Schüler aufstehen und sich zwischendurch die Beine vertreten. Ausreichende Bewegung trägt darüber hinaus nicht nur zu einem gesunden Bewegungsapparat und einer gut ausgebildeten Muskulatur bei, die Fehlstellungen frühzeitig verhindert – sie steigert auch das psychische Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Kinder. Deshalb sind Schulmöbel, die das dynamische Sitzen fördern, eine sinnvolle Investition.“
Kritische Zeit überstehen
Kommen junge Menschen beschwerdefrei und ohne Fehlstellungen durch die Jugend, gibt es laut Dr. Martin Marianowicz – abgesehen von der natürlichen Wirbelsäulendegeneration – in 70 Prozent der Fälle bis ins hohe Alter keine Probleme. Marianowicz: „Hier spielt die Sozialisation eine große Rolle. Ein gesunder Lebenswandel setzt sich in der Regel im Alter fort – und ein einmal über die Wachstumsphase hinaus gestärkter Rückenapparat ist zudem weniger anfällig für Veränderungen, Bandscheibenvorfälle oder Abnutzungserscheinungen. Wenn die Rückengesundheit von Kindern und Jugendlichen stärker gefördert würde, könnte man das Problem bei der Wurzel packen.“ Und jährlich mehrere Millarden Euro Behandlungskosten am Rücken einsparen. Hier sieht Marianowicz vor allem die Gesundheitskassen, Politik und Bildung in der Pflicht.
Textquelle: Deutscher Pressestern (www.deutscher-pressestern.de)