Mehr als die Hälfte der Medikamente, die bei Kindern verwendet werden, waren bis 2007 für diese Altersklasse nicht getestet worden. Daher hat die EU damals eine Arzneimittelverordnung erlassen. Diese verpflichtet Pharmakonzerne, jedes neue Medikament auch in Studien mit Kindern zu testen. Wird diese Aufgabe versäumt, erhält der Pharma-Produzent keine Zulassung für sein Produkt.
Doch diese Regel gilt nur für Neuzulassungen. Ältere Produkte, die sich bereits im Handel befinden, müssen in diesem Bereich nicht noch einmal überprüft werden. Besonders bei schweren Krankheiten fehlen somit meistens ausreichend getestete Medikamente, die für Kinder geeignet sind.
Dosierung der Medikamente: Faustregel überholt
Der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zufolge ist die Lage bei den Jüngsten am Schlimmsten. So finden rund 90% aller Anwendungen mit Medikamenten „ohne Zulassung“ auf der Neugeborenen-Intensivstation statt. Läuft dabei etwas schief, trägt der Arzt die volle Verantwortung.Das größte Problem für den Arzt ist oft die richtige Dosierung. Die alte Faustregel „bei Kindern die halbe Dosis“ gilt als überholt, weil sie kaum differenziert. Zudem fehlen häufig kindgerechte Darreichungsformen. Viele Tabletten sind zu groß und lassen sich nur schwer exakt teilen. Für Kinder leicht zu schluckende Säfte gibt es nur selten.
Da bei Kindern Organe wie Leber, Niere, Magen und Darm noch nicht ausgereift sind, funktionieren sie anders als bei Erwachsenen. Dies hat einen wichtigen Einfluss auf die Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung von Medikamenten.
Des Weiteren ist die Atemfrequenz bei Kindern für gewöhnlich höher, ihr Blutdruck niedriger und sie benötigen mehr Schlaf. Alle genannten Faktoren können bei der Wirkung von Arzneimitteln eine entscheidende Rolle spielen. Berücksichtigt man diese nicht, drohen gefährliche Nebenwirkungen, die bei Erwachsenen unbekannt oder äußerst selten sind.