Dr. Christoph Neumann: Unsere Körperzellen sind auf eine kontinuierliche Energieversorgung angewiesen, sonst ist deren Funktionstüchtigkeit eingeschränkt. Eine Unterzuckerung, im Fachjargon Hypoglykämie, meint einen Glukosewert von 50 Milligramm pro Deziliter und weniger im Blut. Der Körper reagiert dann mit Stresssymptomen wie Schwitzen, Herzrasen und Zittern und Heißhunger. Man fühlt sich schlecht. Die Hypoglykämie tritt in der Regel nur bei Menschen mit Diabetes mellitus auf und zeigt, dass die bestehende Therapie mit Tabletten und oder Insulin zu stark ist oder falsch gehandhabt wird. Der Körper verfügt über hormonelle Kompensationsmechanismen, die den Blutzucker wieder nach oben treiben, dies nennt man Gegenregulation. Hier spielt die Leber eine entscheidende Rolle.
Gesuendernet.de: Gibt es einen Unterschied zwischen einer Unterzuckerung bei Diabetikern und Menschen ohne diese Erkrankung?
Dr. Christoph Neumann: Ja, bei einem gesunden Menschen tritt in der Regel keine Unterzuckerung auf, da die Gegenregulation sehr früh einsetzt und den Blutzucker stabil hält. Gelegentlich kommt es jedoch bei schlanken, jungen Frauen zu Werten um die 50 Milligramm pro Deziliter, dies hat jedoch keinen Krankheitswert. Anders ist das bei Menschen mit Diabetes, hier können Tabletten und oder Insulin zu einer zu starken Wirkung führen, sodass die Gegenregulation zu spät einsetzt oder zu schwach ist. Bei Diabetikern sind somit Werte um die 50 mg/dl niemals normal und immer ein Zeichen von einer Über-Therapie, umgangssprachlich gesagt: Der Zucker ist nicht optimal eingestellt.
Gesuendernet.de: Das heißt also, dass Unterzucker immer ein Warnsignal des Körpers ist, richtig?
Dr. Christoph Neumann: Absolut.
Gesuendernet.de: Wie verhalte ich mich als Diabetiker bei Unterzucker?
Dr. Christoph Neumann: Wenn der Zustand nicht allzu extrem ist, sollte ich zunächst meinen Blutzucker-Spiegel messen, um zu sehen, ob es sich tatsächlich um einen Unterzucker handelt. Bei Bestätigung der Hypoglykämie, sollten schnell verfügbaren Kohlenhydrate zugeführt werden, wie Limonade oder Fruchtsäfte. Die hat man unterwegs natürlich selten dabei. Darum hat sich der Traubenzucker als Maßnahme bei Unterzucker durchgesetzt. Auch dieser geht sehr schnell ins Blut über und erhöht den Blutzucker.
Gesuendernet.de: Welche Gefahren birgt ein Unterzucker für Diabetiker?
Dr. Christoph Neumann: Im Extremfall kann eine Unterzuckerung zu einem Kontrollverlust führen, sodass der Patient gar nicht mehr in der Lage ist, sich zu helfen, so kann es sogar bis zur Bewusstlosigkeit mit Krampfanfall kommen. Nach einer Unterzuckerung ist es sehr wichtig, Ursachenforschung zu betreiben, um zukünftig vergleichbare Ereignisse zu vermeiden.
Gesuendernet.de: Es gibt für Notfälle eine Notfallspritze: die Glukagon-Spritze. Was hat es damit genau auf sich?
Dr. Christoph Neumann: Es handelt sich dabei um eine Spritze für Angehörige von Typ 1-Diabetikern. Der Angehörige kann diese Glukagon-Spitze im Notfall verabreichen, wenn der Patient sich nicht mehr selbst helfen kann. Das Problem dabei ist, dass der Angehörige sich genau mit der Anwendung auskennen muss – die ist nämlich recht kompliziert. Die Nadel dieser Spritze ist außerdem ziemlich dick. Man muss sich also auch trauen, dem Bewusstlosen diese Nadel in die Haut zu stechen.
Gesuendernet.de: Ist Unterzucker denn vorbeugend therapierbar oder ist es ein unvorhersehbarer Zustand, der immer spontan einsetzt?
Dr. Christoph Neumann: Diabetiker sollten Unterzucker unbedingt vermeiden. Er ist eigentlich immer die Folge einer falschen Therapie. Darum ist es so wichtig, dass jeder Patient eine Schulung macht und über seine jeweilige Therapie Bescheid weiß. Tabletten, die die Bauchspeicheldrüse anregen, sollten bei fehlender Nahrungszufuhr und oder vermehrter Bewegung weggelassen werden. Ähnliches gilt für das nahrungsbezogene Insulin. Hier muss die Dosis jedoch auch an Blutzucker, Nahrung und die folgenden Aktivitäten angepasst werden. Ziel ist schließlich eine richtige Dosisfindung. In diesem Sinne ist Unterzucker vorbeugend therapierbar beziehungsweise vermeidbar. Man muss den eigenen Körper kennen und sich mit ihm intensiv auseinandersetzen.
Gesuendernet.de: Herr Dr. Neumann, vielen Dank für das Interview!
Zur Person
Dr. med. Christoph Neumann ist Internist und Diabetologe am Diabeteszentrum Neumann + Zschau in München.